Zurück

30.05.2025

Mitten im Spurwechsel unvermittelt wieder eingeschert: Mithaftung bei Unfall

Der grundsätzlich gegen den Auffahrende sprechende Anscheinsbeweis ist entkräftet, wenn das vorausfahrende Fahrzeug im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Unfall einen bereits zur Hälfte vollzogenen Fahrstreifenwechsel unvermittelt abbricht, wieder vor dem auffahrenden Fahrzeug einschert und dort sein Fahrzeug zum Stillstand abbremst. In dieser Situation hält das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main eine hälftige Haftungsverteilung für gerechtfertigt.

Der Fahrer eines bei der Klägerin versicherten Ford befuhr auf der Autobahn zunächst den linken von drei Fahrspuren. Aufgrund einer Baustelle verengte sich die Fahrbahn auf zwei Fahrspuren. Der Fahrer begann, auf den mittleren Streifen zu wechseln. Wegen des dortigen Verkehrsaufkommens fuhr er, nachdem er circa zur Hälfte auf der mittleren Fahrspur angelangt war, wieder auf die linke Spur. Auf der linken Spur bremste er für maximal eine Sekunde bis zum Stillstand ab. Der hinter dem Ford auf der linken Spur befindliche Beklagte kollidierte mit dem klägerischen Fahrzeug. An dem Ford entstand ein Schaden von knapp 60.000 Euro.

Das Landgericht (LG) hatte der Klage auf Basis einer Haftung von 80 Prozent stattgegeben. Die hiergegen eingelegte Berufung führte zu einer Haftungsquote des Beklagten von 50 Prozent.

Der grundsätzlich gegen den Auffahrenden geltende Anscheinsbeweis greife hier nicht ein, begründete das OLG seine Entscheidung. Sowohl die unklare Verkehrslage als auch der atypische Geschehensablauf stünden dem entgegen. Zudem spreche gegen den Anscheinsbeweis, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Unfall einen bereits zur Hälfte vollzogenen Fahrstreifenwechsel unvermittelt abgebrochen habe. Er habe selbst bekundet, das Beklagtenfahrzeug auf der linken Spur nicht gesehen zu haben. Dies spreche dagegen, dass er sich vor dem Manöver durch Rückschau über den rückwärtigen Verkehr auf der linken Spur versichert habe. Weder vorgetragen noch ersichtlich sei zudem, dass der Ford-Fahrer vor dem Einscheren auf die linke Spur geblinkt habe. "Der zeitliche und örtliche Zusammenhang mit dem gescheiterten Fahrspurwechsel liegt ersichtlich noch vor und wurde durch den kurzzeitigen Stillstand des Fahrzeugs von einer halben bis maximal einer Sekunde nicht aufgehoben", führte das OLG weiter aus.

Gegen ein alleiniges Verschulden des Fahrers des Fords spreche allerdings die vom LG zutreffend angenommene unklare Verkehrslage im Hinblick auf das Enden der vom Beklagten benutzten Fahrspur sowie des starken Verkehrsaufkommens, bei dem auch "mit dem abrupten Abbremsen vorausfahrender oder die Spur wechselnder Fahrzeuge jederzeit zu rechnen" gewesen sei, erläuterte das OLG die vorgenommene Haftungsverteilung von 50 Prozent zu 50 Prozent.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Zulassung der Revision begehrt werden.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 29.04.2025, 9 U 5/24, nicht rechtskräftig