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23.01.2025

Tübinger Verpackungssteuersatzung: Verfassungsbeschwerde erfolglos

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verpackungssteuersatzung der Universitätsstadt Tübingen zurückgewiesen.

Mit der Satzung erhebt die Stadt seit 2022 eine Steuer auf den Verbrauch nicht wiederverwendbarer Verpackungen sowie nicht wiederverwendbaren Geschirrs und Bestecks, sofern Speisen und Getränke darin beziehungsweise damit für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle oder als mitnehmbares take-away-Gericht oder -Getränk verkauft werden. Zur Entrichtung der Steuer ist der Endverkäufer von entsprechenden Speisen und Getränken verpflichtet.

Die Beschwerdeführerin betrieb ein Schnellrestaurant im Stadtgebiet. Gegen die Besteuerung des Verbrauchs der von ihr verwendeten Einwegartikel stellte sie einen Normenkontrollantrag, den das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) jedoch im Wesentlichen ablehnte.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Verfassungsbeschwerde blieb ohne Erfolg. Zwar greife die Erhebung der Verpackungssteuer in die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit der Endverkäufer ein. Der Eingriff sei jedoch formell und materiell verfassungsgemäß, meint das BVerfG.

Die Universitätsstadt Tübingen könne sich für die Verpackungssteuersatzung auf die Steuergesetzgebungskompetenz der Länder für die Erhebung örtlicher Verbrauchsteuern berufen. Insbesondere handele es sich bei der Verpackungssteuer um eine "örtliche" Verbrauchsteuer in diesem Sinne.

Nach der Verpackungssteuersatzung knüpfe die Steuerpflicht an die Abgabe von Einwegmaterial an, das beim Verkauf von Speisen und Getränken "für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle" Verwendung findet. Damit werde der notwendige Ortsbezug des Verbrauchs ohne Weiteres her.gestellt Danach sei zwar nicht ausgeschlossen, dass Speisen und Getränke in atypischen Fällen bestimmungswidrig in räumlicher Entfernung vom Verkaufsort außerhalb des Gemeindegebiets verzehrt werden. Solche atypischen Verhaltensweisen stellen laut BVerfG jedoch nicht in Frage, dass mit der Tatbestandsvoraussetzung eines Verkaufs "zum Verbrauch an Ort und Stelle" der typische Fall des örtlichen Verbrauchs erfasst ist.

Die Örtlichkeit könne auch bei Waren gegeben sein, die nicht "zum Verbrauch an Ort und Stelle" des Verkaufs bestimmt sind, wenn der Verbrauch typischerweise im Gemeindegebiet erfolgt. Hierfür könne insbesondere die Beschaffenheit der Ware sprechen sowie weitere Gegebenheiten wie etwa die Versorgungsstruktur oder die Größe der Gemeinde. Eine darauf bezogene Steuerpflicht setze voraus, dass im Steuertatbestand diejenigen Waren benannt oder aufgrund konkreter Kriterien bestimmbar sind, die im Anschluss an den Verkauf typischerweise noch innerhalb der Grenzen der jeweiligen Gemeinde verbraucht werden; dem Normgeber komme hierbei ein Einschätzungsspielraum zu.

Ausgehend davon sei die Örtlichkeit für die Anknüpfung der Steuerpflicht ebenfalls gewahrt. Nach der verfassungskonformen Auslegung durch das BVerwG sei steuerpflichtig danach nur die Abgabe des Einwegzubehörs für solche Speisen und Getränke, die in der Regel unmittelbar nach dem Erwerb verbraucht werden, weil sich ihre für die Verzehrqualität maßgebliche Temperatur, Konsistenz oder Frische schon nach kurzer Zeit nachteilig verändert. Anhand dieser Kriterien könnten diejenigen "mitnehmbaren take-away-Gerichte und -Getränke" noch hinreichend sicher bestimmt werden, deren Verkauf die Besteuerung des dabei verwendeten Einwegzubehörs auslöst. Die auf den Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Baden-Württemberg beruhende Annahme des BVerwG, die Satzung bilde mit diesen Kriterien die Örtlichkeit realitätsgerecht ab, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der VGH sei davon ausgegangen, dass der Verzehr von take-away-Gerichten und -Getränken "auf die Schnelle" am häufigsten im Stadtgebiet erfolge. Die Beschwerdeführerin habe keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte vorgetragen, die diese Annahme erschüttern könnten.

Die Verpackungssteuer verletze auch keine sich aus dem Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung oder aus dem Grundsatz der Bundestreue abzuleitenden Schranken, so das BVerfG weiter.

Nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ist die Ausübung der Steuergesetzgebungskompetenz zur Lenkung in einem sachgesetzlich geregelten Bereich nur zulässig, wenn dadurch die Rechtsordnung nicht widersprüchlich wird. Das BVerfG ließ offen, welche Reichweite oder konkrete Bedeutung dem Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung in seiner Ausprägung als Schranke für die Ausübung der Steuergesetzgebungskompetenz zur Lenkung in einem sachgesetzlich geregelten Bereich zukommt. Denn die mit der Verpackungssteuer verfolgten Lenkungszwecke stünden zu dem seit Inkrafttreten der Verpackungssteuersatzung am 01.01.2022 geltenden Abfallrecht des Bundes weder hinsichtlich dessen Gesamtkonzeption noch hinsichtlich konkreter Einzelregelungen in Widerspruch.

Der Erhebung der Verpackungssteuer stehe auch nicht mit Blick auf die Erhebung der Einwegkunststoffabgabe nach der bundesgesetzlichen Regelung des § 12 Einwegkunststofffondsgesetz der Grundsatz der Bundestreue in seiner Ausprägung als Kompetenzausübungsschranke entgegen. Denn jedenfalls entziehe die Verpackungssteuer dem Einwegkunststofffonds nicht missbräuchlich die finanzielle Grundlage.

Das BVerfG sieht auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die zur Erzielung von Einnahmen geeignete und erforderliche Verpackungssteuer Tübingens die Berufsfreiheit unzumutbar beeinträchtigt. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine die Geschäftsaufgabe erzwingende Wirkung der Verpackungssteuer in Bezug auf durchschnittlich ertragsstarke Betriebe im Gebiet der Universitätsstadt Tübingen. Im Verfassungsbeschwerdeverfahren seien keine Anhaltspunkte für verstärkte Geschäftsaufgaben betroffener Unternehmen im Anschluss an das Inkrafttreten der Verpackungssteuersatzung vorgebracht worden.

Auch der Eingriff in die Berufsfreiheit der Endverkäufer durch ihre Indienstnahme als Zahlstelle hält das BVerfG für verhältnismäßig. Die Indienstnahme sei geeignet und erforderlich, um die Verpackungssteuer vereinnahmen zu können. Die mildere Alternative einer nicht indirekt an den Verkauf, sondern direkt an den Verbrauch der Einwegartikel durch die Endverbraucher als dem eigentlichen Steuergegenstand anknüpfenden Steuerpflicht wäre nicht praktikabel und daher kein gleich geeignetes Mittel zur Zielerreichung.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27.11.2024, 1 BvR 1726/23