05.09.2024
Das Bundeskabinett hat am 05.09.2024 den Entwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit beschlossen. Der Bund schafft damit zum ersten Mal ein so genanntes Reallabor für die Justiz.
Reallabore sind Testräume, um innovative Technologien und Ansätze zeitlich befristet und unter möglichst realen Bedingungen vor Ort zu erproben. Ziel ist es, Erkenntnisse für eine dauerhafte Regulierung zu gewinnen. Mit dem nun beschlossenen Reallabor für ein Online-Verfahren in der Zivilgerichtsbarkeit soll es rechtsuchenden Bürgern ermöglicht werden, Zahlungsansprüche vor den teilnehmenden Amtsgerichten in einem einfachen, nutzerfreundlichen, barrierefreien und digital geführten Gerichtsverfahren geltend zu machen. Zugleich soll durch die strukturierte Erfassung des Prozessstoffs und eine weitergehende Digitalisierung der Verfahrensabläufe auch die Arbeit an den Gerichten noch effizienter gestaltet werden können, teilt das Bundesjustizministerium (BMJ) mit. Ziel sei eine einfache und zeitgemäße Verfahrenskommunikation durch die bundeseinheitliche Bereitstellung digitaler Eingabesysteme und Plattformlösungen.
Für das Reallabor zur Erprobung und Evaluierung des Online-Verfahrens soll die Zivilprozessordnung (ZPO) um ein weiteres Buch ergänzt werden. Mit dem dann 12. Buch der ZPO werde das Prozessrecht generell für eine Erprobungsgesetzgebung geöffnet und könne durch weitere Experimentierklauseln und Reallabore ergänzt werden. Als weiterer Anwendungsfall werde die Erprobung einer Digitalen Rechtsantragstelle erfasst, so das BMJ.
Die Erprobung des Online-Verfahrens ist nach Angaben des Ministeriums auf einen Zeitraum von zehn Jahren angelegt. Um das Verfahren weiterzuentwickeln, sei nach vier sowie acht Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes eine Evaluierung vorgesehen.
Der Entwurf sieht insbesondere die Eröffnung des Online-Verfahrens durch eine Klageeinreichung mittels digitaler Eingabesysteme vor. Die Rechtsuchenden sollen bei der Erstellung einer Klage durch Informationsangebote und Abfragedialoge unterstützt werden. Die digitalen Eingabesysteme sollen bundeseinheitlich als Bestandteil eines Bund-Länder-Justizportals für Onlinedienste bereitgestellt werden. Die Klage soll entweder über den herkömmlichen elektronischen Rechtsverkehr oder über eine Kommunikationsplattform erfolgen können. Die Anwaltschaft soll über die bestehende Infrastruktur des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) in die Erprobung einbezogen werden.
Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten vor den Amtsgerichten, die auf Zahlung einer Geldsumme (nach der aktuellen Streitwertgrenze bis 5.000 Euro) gerichtet sind, sollen erfasst werden. Die Landesregierungen sollen ermächtigt werden, durch Rechtsverordnung die Amtsgerichte zu bestimmen, die das Online-Verfahren im Echtbetrieb erproben.
Im Verfahrensrecht der ZPO sind Öffnungsklauseln zur verstärkten Nutzung digitaler Kommunikationstechnik vorgesehen. Die allgemeinen Verfahrensregeln der ZPO sollen durch Erprobungsregelungen modifiziert und ergänzt werden, insbesondere durch erweiterte Möglichkeiten eines Verfahrens ohne mündliche Verhandlung, eine Ausweitung von Videoverhandlungen und durch Erleichterungen im Beweisverfahren. Die Verkündung eines Urteils im Online-Verfahren soll durch dessen digitale Zustellung ersetzt werden können.
Der Prozessstoff soll unter Nutzung von elektronischen Dokumenten, Datensätzen und Eingabesystemen digital strukturiert werden können. Insbesondere für so genannte Massenverfahren (zum Beispiel im Bereich der Fluggastrechte) sollen technische Standards und Dateiformate für die Datenübermittlung und eine ressourcenschonende Bearbeitung festgelegt werden
Die rechtlichen Grundlagen für eine neue Form der verfahrensbezogenen Kommunikation zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten sollen geschaffen werden. Dies soll bundesweit erprobt werden. Anträge und Erklärungen sollen unmittelbar über eine Kommunikationsplattform abgegeben werden können. Auch die gemeinsame Bearbeitung von Dokumenten durch die Parteien und das Gericht (zum Beispiel bei Vergleichsabsprachen) und die Zustellung von Dokumenten über die Plattform sollen ermöglicht werden.
Die Gerichtsgebühren für das Online-Verfahren sollen im Vergleich zum herkömmlichen Zivilverfahren gesenkt werden, um einen wirtschaftlich attraktiven Zugang zum Recht für niedrigschwellige Forderungen zu schaffen. Das Gesetzgebungsvorhaben werde durch ein Digitalisierungsprojekt des BMJ begleitet, teilt das Ministerium mit. Dabei übernehme der Bund in Projektpartnerschaft mit interessierten Ländern und Gerichten eine koordinierende Rolle bei der Entwicklung und Erprobung eines zivilgerichtlichen Online-Verfahrens. Derzeit seien neun Länder und 13 Pilotgerichte an der Produktentwicklung beteiligt.
Weitere Informationen sind unter dem Link https://www.zugang-zum-recht-projekte.de/onlineverfahren verfügbar.
Bundesjustizministerium, PM vom 04.09.2024